Dividenden Blog

8. November 2023

Vorbereitungen für die Privatier-Phase – langfristige Finanzplanung

Dieser Artikel stammt von Connie.
Sie twittert unter finanzielle Gelassenheit auf Twitter und ihr könnt natürlich gerne Fragen stellen.

Vorbereitungen für die Privatier-Phase – Teil 1: Ein erster Erfahrungsbericht
Vorbereitungen für die Privatier-Phase – Teil 3: Geld-Töpfe

Los gehts:

In diesem zweiten Beitrag zur Vorbereitung der Privatierphase soll es um die (vereinfachte) Finanzplanung gehen. Unabhängig davon, ob man als Privatier frühzeitig oder als Rentner regulär den Beruf verlässt, spätestens zu diesem Zeitpunkt entfällt das gewohnte Gehalt und die Lebenshaltungskosten müssen entweder aus anderen Quellen gedeckt werden (oder man muss sich einschränken). Hierfür stellen sich zwei grundlegende Fragen:

  1. Wie lange lebe ich?
  2. Was kostet mein Leben?

Lebenserwartung

Da man nicht weiß, wie lange man leben wird, kann man für die Planung entweder in Lebenserwartungstabellen schauen (eine gute Quelle hierfür sind Lebensversicherungen oder Statista) oder man schaut sich in der eigenen Familie um, wie alt frühere Generationen geworden sind. Ich habe eine dritte Alternative gewählt: Ich habe meinen langfristigen Finanzplan auf das Lebensalter 100 ausgerichtet. So alt werde ich voraussichtlich nicht, aber der Hintergedanke dabei ist: Wenn das Geld bis 100 reicht, dann habe ich einen Puffer für Unvorhergesehenes.

Langfristige Ausgabenplanung

Für die Beantwortung der zweiten Frage hilft – teilweise – entweder ein Haushaltsbuch oder eine Auswertung der eigenen Konten. Anhand dieser Informationen kann man die eigenen Ausgabegewohnheiten in die Zukunft fortschreiben. Aber: Wenn man nicht mehr arbeitet, verschieben sich üblicherweise auch die Ausgabenkategorien, für einiges benötigt man weniger Geld, für anderes mehr. Und wenn man älter wird, steigen unter Umständen auch die Gesundheitskosten und sinken die Reisekosten. 

Daher ist es sinnvoll, sich mal ausführlich mit der Frage zu beschäftigen, wie (und ggf. wo) man eigentlich leben möchte als Privatier oder Rentner:

  • Wo ist ein guter Ort zum Leben? Will man umziehen oder bleiben, wo man ist?
  • Will man eher Reisen oder eher im Garten / auf dem Balkon ein Buch genießen?
  • Wie sieht ein idealer Tag aus?
  • Womit verbringt man seine Zeit?
  • Usw.

Für die Beantwortung dieser (und ggf. anderer) Fragen sollte man sich durchaus etwas Zeit nehmen und ausführlich darüber nachdenken. Und ganz wichtig: Den Partner einbeziehen – bestenfalls decken sich die Ideen! Hat man eine ungefähre Vorstellung über das (idealisierte) Leben nach dem Beruf, kann man anfangen die Kosten dafür zu schätzen. Zusätzlich sollte man sich überlegen, wie eine potentielle Pflegebedürftigkeit abgesichert werden kann.

Ausgabenkategorien

Um die Stellschrauben der eigenen Ausgaben ein wenig besser einschätzen zu können, teile ich meine Ausgaben ein:

  1. Fixkosten (Wohnkosten, ÖPNV, Versicherungen, sonstige Verträge)
  2. Variable Kosten (Tanken/Parken, Lebensmittel, Haushalt, Bekleidung, Kommunikation, Freizeit, Geschenke)
  3. Sonderkosten (größere Anschaffungen, Reisen)

Bei den Fixkosten unterscheide ich in monatliche und nicht-monatliche Zahlungsverpflichtungen. 

  • Die monatlichen Zahlungen gehen direkt automatisch vom Gehaltskonto ab. 
  • Die nicht-monatlichen Zahlungen habe ich auf Monate umgerechnet und aufaddiert. Diese Summe geht automatisiert auf ein separates Konto, von dem diese Zahlungen dann abgebucht werden. Hier prüfe ich einmal im Jahr, ob der monatliche Sparbetrag ausreichend ist (z. B. wegen steigender Versicherungsprämien) und passe diesen bei Bedarf an. 

Meine Fixkosten betragen monatlich ca. 950 Euro. Darin enthalten sind das Hausgeld (aber kein Kredit – ich wohne mietfrei seit 2018), Strom, Grundsteuer und Versicherungen (inkl. Mindestbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung). 

Nicht enthalten in den Fixkosten sind meine Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung – diese werden nächstes Jahr für drei Jahre im Voraus bezahlt und so zumindest vorläufig aus der Finanzplanung herausgenommen. Das Milchmädchen sagt natürlich, dass diese Nichtberücksichtigung eigentlich falsch ist, denn die Kosten entstehen ja in jedem Fall und gehören in den Finanzplan. Warum ich die Vorauszahlung einplane, habe ich im ersten Artikel erläutert. Nach den drei Jahren muss ich dann entweder monatlich die Beiträge zahlen oder wieder für drei Jahre vorauszahlen. Das wäge ich dann ab, wenn es soweit ist.

Die variablen Kosten hängen direkt vom persönlichen Ausgabeverhalten ab und laufen ganz normal über das Gehaltskonto. Ich habe allerdings auch ein Rücklagenkonto, um meine üblichen Ausgaben für ein Jahr decken zu können (sowohl Fixkosten als auch variable Kosten). Dieses Rücklagenkonto ist mein Fuck You Money und wird im Normalfall nicht genutzt. Damit kann ich notfalls ein ganzes Jahr ohne weiteres Einkommen normal weiterleben.

Für die Sonderkosten habe ich ein separates Tagesgeldkonto mit entsprechenden Rücklagen. Nehme ich einen Teil dieser Rücklage in Anspruch, fülle ich das Konto so schnell es geht wieder auf.

Potentielle Pflegebedürftigkeit habe ich über zwei Wege abgesichert:

  • Versicherung (bisher über den Arbeitgeber, kann ich ab Dezember privat weiterführen)
  • Verkauf Eigentumswohnung

Wer keinen Spass an detaillierten Ausgabenanalysen hat, beschäftigt sich am besten mit den üblicherweise größten Kostenposten: Wohnen und Mobilität.

Finanzplan

Wer meinen ersten Gastbeitrag hier gelesen hat, hat sich vermutlich auch mal den Blog vom Privatier angesehen. Dort findet sich im Kapitel 4 ein Vorschlag, wie man einen vereinfachten Finanzplan erstellen kann (jedes Jahr entspricht einer Zeile). Diesen habe ich als Grundlage benutzt und um einige Spalten erweitert.

  • Jahr
  • Startkapital (Jahresbeginn)
  • Wachstumsrate Kapitalstock
  • Endkapital (Jahresende)
  • Gehalt (m)
  • Netto-Dividenden (j)
  • DRV Rentenanspruch (m)
  • bAV Betriebsrentenanspruch (m)
  • GKV (m, vor Rente / ab Rente)
  • Rentenlücke (j)
  • Rentenlücke (m)
  • Ausgaben (j, fixe & variable Kosten, teilweise Sonderkosten)

Wenn ich den Finanzplan prüfen will, aktualisiere ich in der Tabelle genau 3 Zahlen: Das Jahr, das die Wachstumsrate des Kapitalstocks und das Gehalt. Alles andere wird berechnet – daher habe ich ein paar zusätzliche Felder neben der eigentlichen Tabelle, um das zu erleichtern:

  • Inflation
  • Einkommenssteuersatz
  • Dividendenwachstum
  • Rentenwachstum
  • GKV % Rente
  • GKV Höchstsatz (inkl. Pflegeversicherung)
  • GKV + PKV % Kapitalerträge + Betriebsrente
  • Sparrate Depot (Aktien + Dividenden)

Ebenso habe ich – wie vom Privatier vorgeschlagen – das ganze grafisch im Excel hinterlegt, sodass ich den Effekt von Veränderungen (z. B. Inflationsrate) direkt sehen kann. Der Kurvenverlauf in meinem Diagramm ist ähnlich der Beispielgrafik beim Privatier (ich verwende derzeit eine langfristige Inflationsrate von 3% – deutlich unter der aktuellen Rate).

Ich empfehle allen, diese Berechnungen mal durchzuspielen. Man kann so seine zu erwartende Rentenlücke abschätzen und auch ein Gefühl dafür bekommen, was noch fehlt zum Privatierdasein.

Falls Interesse besteht, kann ich in einem weiteren Artikel darstellen, aus welchen Quellen ich meine Lebenshaltungskosten als Privatier decken will.

Kommentare:

  1. Martin

    Vielen lieben Dank Connie, für Deine ausführlichen Erläuterungen, ich hoffe, es wird von dem ein oder anderen auch genutzt. Dann ist man tatsächlich schon mehr als einen Schritt weiter!

  2. kritiker

    meine meinung zu dem thema: 1. kommt es anders und 2. als man denkt.

    du kannst rechnen wie du willst. am ende ist es immer besser, ein paar euro mehr zu haben als zu wenig.

  3. Connie

    @ Martin: Danke!

    @ kritiker: Absolut richtig – das Leben passiert, während man andere Pläne macht. So ein Finanzplan erfordert auf lange Sicht den ein oder anderen Puffer, alles andere wäre fahrlässig.

  4. Malte

    Vielen Dank für den Gastartikel! Ich melde Interesse für einen Folgeartikel zum Thema Lebensunterhalt bestreiten als Privatier!

  5. Poldi

    Wieder ein sehr schöner Beitrag Connie ;-))
    Vielen Dank, dass du uns teilhaben lässt.

    Ist für mich noch viel Weg zum Ziel.

  6. Connie

    @ Malte: Brauche etwas Zeit dafür 😉 aber wird kommen

    @ Poldi: Gerne 🙂

  7. Enrico

    Hallo Connie,
    danke für den Artikel – auch wenn ich schon ein paar Kommentare dazu gesehen habe, möchte ich das Thema nochmal aufgreifen bezüglich der Günstigerprüfung.

    Auf Finanztip steht:
    „Der Steuersatz von 25 Prozent für die Kapitalertragsteuer (zuzüglich Soli, also insgesamt 26,375 Prozent) ist für manche zu hoch… Liegt Dein Grenzsteuersatz darunter, solltest Du mit der Anlage KAP in Zeile 4 die Günstigerprüfung beantragen. Die bereits von der Bank mit Abgeltungssteuer einbehaltenen Kapitalerträge werden dann stattdessen mit Deinem niedrigeren persönlichen Steuersatz versteuert… Geregelt ist das in Paragraf 32d, Absatz 6 EStG.

    … Aber wenn Du als Single 2022 etwas mehr als 20.000 Euro zu versteuerndes Einkommen (etwa aus Gehalt oder einer Rente) hattest, kannst Du Dir das sparen.“
    Link: https://www.finanztip.de/steuererklaerung-anlage-kap/

    Ich würde mir auch wünschen, dass es wie bei Olivers Blog beschrieben funktioniert und der Durchschnittssteuersatz und nicht der Grenzsteuersatz genommen wird. Ich habe dies ebenfalls mit unserem Finanzamt einmal durchgesprochen und sie bestätigen die Ansicht von Finanztip.
    Du kannst ja mal berichten, wie sich der Fall bei dir dann in Realität darstellt. Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte man wohl aber mit dem schlechtere Szenario planen.

    Danke für alle anderen Gedankenanstoße – sehr interessant!

  8. Connie

    @ Enrico: wo kommen denn die 20.000 zu versteuerndes Einkommen her? Bei mir wird das so sein, dass die Dividenden und ggf. Kapitalverzehr das einzige Einkommen darstellt. Und dann funktioniert das mit der Günstigerprüfung, soweit ich weiss. Ich habe letztes Jahr mal eine Test Steuererklärung gemacht (über Elster). Ich habe alle meine üblichen Sachen wie jedes Jahr eingetragen, mit dem Unterschied, dass ich statt Lohn/Gehalt auf 0 gesetzt habe und nur die Kapitalerträge als Einnahme eingetragen habe. Die Probeabrechnung hat eine Einkommensteuer von 0 ergeben, da die Kapitalerträge unter dem Grundfreibetrag lagen. Über die Realität kann ich nächstes Jahr noch nichts sagen, kann dann aber zu gegebener Zeit ein Update schreiben.

  9. Andreas

    Hallo Connie, Enrico und BadBanker,

    ich habe eure Diskussion rund um den Grenzsteuersatz und die Günstigerprüfung verfolgt. Connie liegt schon richtig, ich kann aus mehrjähriger Erfahrung bestätigen, dass das so funktioniert.

    Der Artikel von finanztip.de ist nicht ganz präzise formuliert und deshalb genau in der Situation von Connie falsch. Besser wäre diese Formulierung:

    „Aber wenn Du als Single 2022 etwas mehr als 20.000 Euro zu versteuerndes Einkommen (etwa aus Gehalt oder einer Rente) zusätzlich zu den Kapitalerträgen hattest, kannst Du Dir das sparen.“

    Der Grenzsteuersatz ist in der Situation von Connie nicht entscheidend – er kann sogar deutlich höher als 25% sein.

    Ich habe dazu vor einiger Zeit ein Beispiel beim Maschinisten gerechnet und eine Erklärung dazu versucht:

    https://freiheitsmaschine.com/investmentsteuerreformgesetz-2018-kapitalertragsteuer-guenstigerpruegung-steuer-deutschland/#comment-9043

  10. Connie

    @ Andreas: Vielen lieben Dank für Deine Rückmeldung und den Verweis auf Deinen Kommentar im Blog Freiheitsmaschine. Ob das bei mir in der Praxis dann wirklich so funktioniert, werde ich erst ab 2026 sehen, wenn ich die Steuererklärung für 2025 mache. Bis dahin werde ich mich in Geduld üben und erstmal davon ausgehen, dass es klappt. Im Finanzplan eingeplant habe ich die durch Günstigerprüfung zu erwartende Steuererstattung nicht, daher wäre es kein Drama, wenn es nicht passt. Und wenn, dann habe ich einen (weiteren) Puffer zur Verfügung.

  11. Andreas

    Ich finde übrigens Deine Pläne und Gedanken ziemlich gut durchdacht. Bei der freiwilligen Vorauszahlung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge möchte ich noch anmerken, dass das ein Mittel ist, das man kurzfristig nur einmal nutzen kann.

    Der dadurch entstehende Effekt, nämlich ein Guthaben auf dem Versichertenkonto bei der Krankenkasse, bleibt ja dann erst einmal über Monate und Jahre bestehen. Wenn Du heute für die Jahre 2024 bis 2026 vorauszahlst, wird die Krankenkasse in den kommenden Jahren nichts abbuchen. In den kommenden Jahren „fehlen“ dann zunächst diese Kosten bei den Sonderausgaben. Das zu versteuernde Einkommen wird also relativ höher sein.

    Es gibt verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Man muss sich nur bewusst sein, dass die Folgen der Vorauszahlung länger nachwirken, als man das zunächst glaubt.

    (Ich habe im vergangenen Jahr eine größere Beteiligung mit Gewinn verkauft und eine Vorauszahlung gemacht, um den Einkünften noch ein paar Kosten entgegenzustellen.)

  12. Connie

    @ Andreas: Danke! Ja, das ist mir bewusst und ich möchte mit der Vorauszahlung natürlich 3 Jahre lang erstmal mein Monatsbudget entlasten. Zusätzlich gibt es da einen guten Effekt bei der Steuer auf die Abfindung, daher macht es für mich nächstes Jahr (2024) sehr viel Sinn. Über 2025 mache ich mir dann später Gedanken, da gibt es ja noch Möglichkeiten über Rürup-Rente als Einmalanlage usw. Und wenn man 50 ist, kann man – wie im ersten Gastartikel beschrieben – schauen, ob man bei der DRV die Abschläge auf die Rente mit 63 ausgleicht (gestreckt über mehrere Jahre).

  13. Achim

    @enrico:
    Such mal nach folgendem String:

    „Zahlen behindern die Phantasie! Wer träumen will, sollte sich stets von Zahlen fern halten.“

    Du findest damit einen Forumsbeitrag von mir, in dem ich erkläre, warum bezüglich der Günstigerprüfung sowohl der Begriff „Durchschnittssteuersatz“ als auch der Begriff „Grenzsteuersatz“ fehl am Platz ist. Wirklich. Es ist sachlich falsch, auch was die niedersächsische Finanzverwaltung, also eine öffentliche Stelle dazu schreibt. Es ist falsch. Wirklich. Wirklich. Wirklich.

    Mach Dir einfach mal den Spaß und gib „zu versteuerndes Einkommen“ und „Kapitalerträge“ in einen einschlägigen Rechner ein, etwa diesen hier: https://www.n-heydorn.de/steuer.html . Fang mit 21 T€ Einkommen (ledig!) an (alle anderen Rubriken auf 0 setzen, dann kommt das eingegebene Bruttoeinkommen unten als „zu versteuerndes Einkommen“ an, und dazu 2 T€ Kapitalertrag (also 1 T€ über dem Freibetrag). Mit der Steuertabelle 2023 wirst Du bereits bei dieser Eingabe Abgeltungssteuer und Soli zurückbekommen, wenn auch nur 2€. Dann reduzierst Du das Einkommen in Schritten von 1000 € und erhöhst den Kapitalertrag entsprechend. Du wirst sehen, daß der Erstattungsbetrag der Abgeltungssteuer kontinuierlich steigt.

    Anderer Test: Du setzt das Bruttoeinkommen auf 0 und erhöhst den Kapitalertrag sukzessive solange, bis der Rechner keine Erstattung mehr anzeigt. Bei 64820€ Kapitalertrag bekommst Du bei der Günstigerprüfung noch 1€ Erstattung. Drüber ist dann die Abgeltungsversteuerung günstiger.

    Nimm einen Rechner Deiner Wahl: Es wird das gleiche dabei herauskommen.

    Die Wirklichkeit ist natürlich noch etwas komplizierter: Bei Normalversteuerung kann man noch verschiedene Dinge von der Steuer absetzen, etwa freiwillige Rentenbeiträge oder die Krankenversicherung. Das führt dazu, daß der Betrag der Kapitalerträge, bis zu dem die Günstigerprüfung für den Steuerpflichtigen lohnt, noch weiter nach oben verschoben wird.

    Rechne es selber aus und staune!

  14. Achim

    Der Grenzsteuersatz spielt bei der Günstigerprüfung nur dann eine Rolle, wenn Du mit Deinem Erwerbseinkommen exakt an der Grenze (x) bist. Dann ist die Normalversteuerung von Kapitaleinkünften ungünstiger als die Abgeltungssteuer. Der Durchschnittssteuersatz ist bei diesem Einkommen weit von 25,375% entfernt.

    Wenn Du beispielsweise 1000 € weniger verdienst, dann „endet“ Dein Erwerbseinkommen bereits unterhalb des „Grenzsteuersatzes“ von 25,375%.
    Du kannst dann Dein Einkommen gedanklich erstmal bis zur Grenze x mit Kapitaleinkünften auffüllen. Für die würdest Du normalerweise 26,375% Kapitalertragsteuer zahlen. Versteuerst Du sie normal, zahlst Du aber weniger Steuer, hast damit quasi eine interne Gutschrift. Diese kannst Du einsetzen, um die Steuer für den Rest Deiner Kapitaleinkünfte „herunterzusubventionieren“, die über die Grenze x in höhere Steuersätze hineinreichen. Das heißt: Obwohl Du in diesem Fall für Kapitaleinkünfte über der Grenze x sogar mehr Steuer zahlst als die ominösen 26,375%, fährst Du ggf. dennoch günstiger, weil Du oben weniger zubutterst als Du unten sparst.

    Wenn man das graphisch darstellt, bekommt man eine Art Schmetterlingsfigur, bei der der oben genannte Grenzsteuersatz etwa in der Mitte liegt. Nicht ganz in der Mitte, denn die Progression verbiegt die Figur etwas.

    Willst Du also mit der Günstigerprüfung günstiger fahren, brauchst Du für Kapitaleinkünfte, die über die Grenze x hinausreichen, Kapitaleinkünfte unterhalb der Grenze zur Kompensation der Mehrsteuer über der Grenze. Weil untenrum der Steuersatz rasch sinkt, kann grob gesagt die Mindersteuer von 1000 € Kapitalerträgen unter der Grenze die Mehrsteuer von 2000€ über der Grenze kompensieren.

    Das Extrem ist erreicht, wenn jemand überhaupt kein Erwerbseinkommen mehr hat, man unter der Grenze x also 21 T€ Kapitalerträge unterbringt, für die man sonst 25,375% Steuer zahlen müßte. Für die ersten 10 T€ zahlt man in diesem Fall überhaupt keine Steuer.

    Nur in diesem Extremfall stimmt die Sache mit dem Durchschnittststeuersatz. Wenn einer ausschließlich Kapitalerträge hat, stellt er sich damit so lange steuerlich günstiger, bis der Durchschnittssteuersatz 26,375% erreicht.

    Aber schon, wenn auch nur 1000€ sonstige Einkünfte dabei sind, stimmt das nicht mehr. Dazu kann er dann nicht etwa 62820€ Kapitalerträge dazu haben, sondern „nur“ noch 61130€.

    Mir ist klar, daß die überwiegende Mehrzahl der Steuerpflichtigen mehr normalversteuertes z.B. Erwerbseinkommen hat als Kapitalerträge. Insoweit spielt nur für wenige Leute die Frage, wie man zu „nur“ 5 T€ Erwerbs- oder Renteneinkommen weitere 25 T€ Kapitaleinkünfte versteuert und es ist nachvollziehbar, daß selbst der durchschnittliche Finanzbeamte sich das nicht so recht vorstellen kann. Aber bei den FIRE-Leuten (wie etwa der geschätzten Connie hier) ist halt eben das der Fall.

  15. Connie

    Hallo Achim, danke für die Ausführungen. Das mit dem Grenzsteuersatz verstehen viele falsch – ich habe da auch eine Weile gebraucht. Mir hat es geholfen, Test-Steuererklärungen mit meinen eigenen Daten zu machen.

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