Dividenden Blog

13. September 2023

Die 4% Regel und FIRE?

William P. Bengen ist ein pensionierter Finanzberater, der als erster die Entnahmerate von 4% als Faustregel für die Entnahme aus Altersvorsorgefonds formulierte. Die Regel wurde später durch die Trinity-Studie (1998) weiter populär gemacht, die auf denselben Daten und ähnlichen Analysen basiert. Bengen nannte diesen Ansatz später den SAFEMAX-Satz, für „die maximal sichere historische Entnahmerate“, und änderte die Regel später (2006) auf 4,5% (wenn die Entnahme steuerfrei ist) und auf 4,1%, wenn auf die Entnahme Steuern bezahlt werden müssen.

Der ursprüngliche exakte Wert ist übrigens 4,15%. Diesen Wert ergab der Stresstest. Und dieser Wert hatte historisch eine 100% Erfolgsquote.

Die Regel wurde von diversen Publikationen auf 4% abgerundet.

Bill Bengen ist also der „Erfinder“ der 4% Regel.

Er hat diese Mitte der 90er veröffentlicht.

Als Anlageprodukte wählte er damals NUR US Large-Caps und US Staatsanleihen. Im Jahr 2020 testete er mit weiteren, zusätzlichen Asset Klassen, explizit US Small-Caps und US Mid-Caps und kam dabei auf einen Wert von 4,8%.

Er hat dazu 75 Jahre Marktdaten inkl. Inflation berücksichtigt.

Die Regel gilt NUR für einen Zeitraum von 30 Jahren.

Dafür kann man die Entnahme jedes Jahr um die Inflationsrate anpassen.

Die ursprünglichen Berechnungen fanden für eine Person statt, welche in den USA wohnt und die 1968 in den Ruhestand gegangen ist.

Der Dow Jones stand damals bei etwa 8000 Punkten. Der S&P 500 stand bei etwa 900 Punkten.

Darauf folgten zwei Rezessionen in den 70ern und nochmal zwei in den 80ern.

Am Tiefpunkt stand der Dow Jones dann bei 2500 Punkten und der S&P bei 335 Punkten im Jahr 1982.

Zusätzlich hatten wir in den 70ern und in den 80ern die höchsten Inflationsraten seit 1950. Diese lagen bei 7% bzw. 6% (Höchststände).

Was natürlich auch hohe Zinsen auf Staatsanleihen bedeutete. Diese relativ hohen Zinsen gab es dann über einen längeren Zeitraum sicher. Auch wenn die Inflation in den Folgejahren wieder sank.

Beispielsweise kannst du aktuell US Staatsanleihen kaufen, mit 20 Jahren Laufzeit und einem Zinssatz von 4,3%. Sinkt die Inflation nun wieder sehr stark, hast du den Zinskupon trotzdem sicher.

Die „4% Regel“ hat also in seinen Tests funktioniert, obwohl es Druck von beiden Seiten gab, lange Bärenmärkte UND hohe Inflation.

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=W2KGxdI0TXc

Die Regel ist nicht für FIRE:

Wir reden immer noch über einen Testzeitraum von 30 Jahren und ein Portfolio, das eben nicht zu einem Großteil aus Aktien bestand. Ob die Regel also grundsätzlich „immer“ gilt, kann keiner wissen, da niemand in die Zukunft sehen kann. Es können Szenarien auftreten, welche Bengen nie berücksichtigt hat, weil sie eben in seinem Vergleichszeitraum nicht aufgetreten sind.

Die Regel ist also nicht universell anwendbar und sie taugt nicht für eine FIRE Berechnung. Weil, und das sagen diese 30 Jahre aus, sie explizit für Menschen ist, die „regulär“ in Rente gehen. Diese haben dann etwa noch 30 Jahre Lebenserwartung.

Des weiteren ist die Regel sehr starr.

Sie entnimmt statisch 4% (+ Inflation), komme was wolle, egal ob man das Geld zu 100% braucht oder nicht. Das gefällt uns (als Anwender) natürlich, weil es eine einfache Kalkulation zulässt und Planbarkeit ermöglicht.

Aber so ist das Leben nun mal nicht.

Warum taugt sie trotzdem für FIRE:

  • sie nimmt an, dass persönliche Kosten exakt nach der gemessenen Inflationsrate steigen (was nicht der Fall ist)
  • sie war eigentlich schon immer eine 4,15% Regel
  • nach dem letzten Update von Bengen kam er auf ein Ergebnis von 4,8% (2020)
  • die meisten Menschen, die FIRE anstreben, würden zwar gerne mit 30 Jahren in Rente gehen, realistisch umsetzbar ist das aber erst in den 40ern, vielleicht auch erst Anfang 50
  • da reden wir dann über einen maximalen Entnahmezeitraum von 40+ Jahren
  • in diesem Alter sind die Menschen noch flexibel, und wären vielleicht durchaus bereit, sich noch einen Nebenjob zu suchen, wenn man am Anfang des Entnahmezeitraums in einen Bärenmarkt läuft und bemerkt, dass der Plan nicht aufgeht
  • Leute, die ihren Cashflow auf Dividenden aufgebaut haben, planen in der Regel mit einer weit geringeren Entnahmerate (sofern überhaupt)

Die 4% als lockere Regel:

Hat man so geplant, dass man die 4% Entnahme nur im Notfall braucht und surft mit 3-4% Entnahme vor sich hin, kann man (nach allen Backtests) 50 bis 60 Jahre davon leben (und wieder weiß keiner, was die Zukunft bringt). Der Schlüssel dazu ist allerdings die oben genannte Flexibilität. Man muss die Möglichkeit haben, Kosten und Ausgaben temporär zu reduzieren (wenn Märkte schlecht laufen) oder Portfolios umzuschichten.

Und trotzdem:

Nichts ist sicher. Jeder noch so genau ausgearbeitete „Rentenplan“ kann gegen einen schwarzen Schwan nicht standhalten. Was ist, wenn man (wie in den 70ern) eine Periode erwischt, in der Märkte 15 Jahre nach Süden liefen und ein Portfolio hat, das zu 90% aus Aktien besteht?

Man wird aus meiner Sicht gezwungen, flexibel zu bleiben.

Beispiel:

Bekommen wir die Inflation nicht schnell wieder auf ein normales Maß herunter, muss ein Anleger, der (wie ich) zu 100% in Aktien investiert ist, sich mit dem Gedanken anfreunden, Anleihen zu kaufen. Da 20-Jährige US Staatsanleihen mittlerweile soviel Zinsen bringen wie eine ordentliche Dividendenaktie.



Alle Beiträge zum Thema Finanzielle Freiheit

Kommentare:

  1. Thomas

    Bis jetzt hat es noch zu 100 % jeder Mensch bis an sein Lebensende geschafft.

    Wie, ist eine andere Frage, aber diese absolute Gewißheit sollte uns doch etwas von dem ständigen Streß entlasten,
    unsere Moneten vulgo Erbsen zu zählen und Angst zu haben, das es nicht reicht.
    Bißchen Spaß sollte das Leben auch noch machen.

  2. Dirk

    FiRe war nie ein Thema für mich. Vor einigen Jahren begann ich aber mich mit meinem Unruhestand zu beschäftigen. Im Idealfall möchte ich einfach im Unruhestand über das gleiche Einkommen verfügen wie jetzt als Arbeitnehmer.
    Durch mein ETF-Depot und 4%-Regel steht inzwischen der Plan mit 63 (und Abschlag) in Rente zu gehen.
    Die Frage was passiert, wenn es einen schwarzen Schwan gibt kann ich nicht beantworten. So empfinde ich es definitiv als unsinnig meine staatliche Rente unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu sehen. Wenn es eine in der Vergangenheit noch nur dagewesen wirtschaftliche Krise geben sollte, wird diese nicht nur mein ETF-Depot, sondern auch meine Rente betreffen.
    Ich denke dann einfach an meine Eltern. Trotz Verlust der Heimat, 3 aktiv erlebter Währungen und politischer Systeme ist das Leben doch irgendwie immer weiter gegangen. Ich würde jedenfalls im Nachgang betrachtet nicht mit meinen Eltern tauschen wollen. Dagegen was Sie in Ihrem Leben ‚erlebt‘ haben war mein Leben bisher Ponyhof.
    Also positiv denken! Was passiert, passiert eben.

  3. Thomas mit T

    Mal noch ein Gedanke von mir dazu: Wie geschrieben, gehen die meisten nicht mit Mitte 30 in Rente. Erreicht man dies erst mit 40 oder später, dann setzt vor Ablauf der 30 getesteten Jahre bei den meisten die gesetzliche Rente ein. Auch wenn diese nur geringe Zahlungen leistet, kann man die Entnahme aus seinem Depot nun verringern (falls man nicht mehr Geld ausgeben will). Dadurch reduziert sich das Risiko am Ende ohne Geld darzustehen deutlich.

  4. Fixo

    Der Problem ist das sequence of return risk und dieses tut vor allem am Anfang weh, d.h. wenn ich sage, dass ich von meinem Depot lebe und ich innerhalb der ersten 10 Jahre in einen Crash/starke Rezession/großen Bärenmarkt renne. Sollte solch ein starker Drawdown erst nach 10 Jahren passieren, kann er dir eigentlich nichts mehr anhaben.
    Damit stellt sich die Frage, wie man sich dagegen absichert und gerade in der heutigen Zeit gibt es dafür deutlich mehr Möglichkeiten als im 20. Jahrhundert.
    Wenn man sich beispielsweise bereits mit Optionen begonnen hat und sich auskennt, kann man über einen Cash-Secured-Put oder Bull-Put-Spread hinausgehen. Wie wäre es zum Beispiel mit Long-Calls auf den VIX oder langlaufende Butterflys auf den SPX? Je nach Depotgröße muss man natürlich beachten, dass man die 20k€ Verlustbegrenzung nicht überschreitet.
    Alternativ kann man sich Gedanken machen, was bei einem Crash passiert. Kann man davon auf anderem Wege profitieren? Ja, zum Beispiel könnte man auf Momentum setzen. Dafür ist nicht gleich der Fond von Gerd Kommer oder dem Finanzwesir notwendig. Das kann man im Zweifel auch selbst mit Strategien nachbilden.
    Leider sind solche Möglichkeiten sehr schwer zu backtesten. Und wie im Beitrag schon steht, ist die Vergangenheit keine Garantie für die Zukunft.

  5. Roland

    Ich wähle ein etwas andere Strategie die aus mehreren Bausteinen besteht.
    Der grösste Teil im All World ETF, ein kleinerer Teil mit dem man aber einige Jahre überleben könnte wird fest verzinst angelegt, dazu ein Betrag auf dem Tagesgeldkonto wovon man die nächsten 10 Jahren leben kann. Sollten wir in 10 Jahren in einem Crash sein wird das fest verzinste Geld benutzt für den Lebensunterhalt, sollten die Börsen gut da stehen würde ich Summe X von dem ETF abschöpfen. Zusätzlich noch einen Topf um im nächsten Krypto Bärenmarkt investieren zu können.
    Momentan gibt es ja sogar 3,5% auf Tagesgeld.
    Ich denke mit den verschiedenen Töpfen ist man etwas flexibler und muss in einem Crash nicht zwingen seinen ETF abschöpfen.

  6. Mfugo

    Breite Diversikation ist für mich die Lösung. Konkret habe ich 2 Immobilien, in einer arbeite ich in der anderen wohne ich.
    Wir als Paar bekommen eine kleine Grundrente vom Staat, die Immobilie könnte ich vermieten, verkaufen oder meine Praxis passiv ohne meine Arbeitsleistung weiterlaufen lassen.
    Von den Dividenen kann ich locker leben, ein Crash oder eine neue Wärung betrifft nur das Geld auf dem Konto. Die Sachwerte, d.h die Anteile in Form von Aktien bleiben, klar mit einem anderen Wert, jedoch habe ich dann immer noch die Anteile und starte nicht von null. Was soll passieren das mich umhaut? Weltuntergang klar, dann sind wir alle verloren.

  7. Christian

    Bin auch ein sehr großer Fan der 4%-Regel. Bei meinen Berechnungen bin ich aber immer auf 3,3-3,9% max gekommen. Das ist dann die 4%-Regel auf Nummer sicher, bzw. abgewandelt. Wenn ich jedes Jahr 3,3% entnehme, habe ich sogar die Chance, dass das Portfolio jedes Jahr um 0,6 oder 0,85% weiter ansteigt, wenn man nichts mehr einzahlt und nur noch entnimmt. Ein Anstieg um 0,85% bei 3,3% Entnahme erfolgt, falls die 4,15% doch zutreffen.

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